Donnerstag, 3. Juli 2008

Lucy II

2 summertime and the living is easy. das amt macht in 15
minuten auf, er würde in zehn dort sein. der duft von chloriertem
wasser stieg ihm in die nase. der park erstreckte sich zu seiner
linken, das schwimmbad bildete den vortex im tosenden
dschungelgrün - das sturmauge, die ruhe im mittelpunkt der grünen
oase, in der urbanen wüste - nachts. tagsüber war er von
vielfältigen geräuschen erfüllt: kreischenden kindern, keifenden
frauen und sabbelnden männern - beschäftigt mit den kleinen
annehmlichkeiten des lebens: erörterungen des haushaltplanes,
ausrauben von klassenkameraden, seiern über wochenendficks.
dazu die natürliche geräuschkulisse aus vogelzwitschern,
hundegebell, straßenbahnquitschen und dem knall des die
schallmauer durchbrechenden jägers. an den ulmen stand ein
päärchen, händchenhaltend im schatten - ihm fröstelte. sie sah ihr
ähnlich, war es aber nicht, wie auch, war sie doch vom selben
schlag. vom selben schlag wie er. wie oft hatte er sie gesehen. sie
verstand es sich zu tarnen, beherrschte die technik des mimikry,
konnte sich jeder umgebung anpassen, wie ein chamäleon, und
darunter zählte nicht nur der willkürliche wechsel der haarfarbe. oft
hatte er sie gesehen, ihren gang bewundert, leicht und gefährlich,
die katze auf der jagd nach der beute. ein kumpel, der es mit
frauen eher sporadisch zu tun bekam, hatte ihm mal erzählt, was er
mit frauen anstellen würde. hat gemeint man müsse sie zu sich
nach hause locken, mit kulinarischen künsten verführen,
atmosphäre schaffen, die sinne berauschen, akustisch, visuell, aus
büchern vorlesen, sie durch massage, mit wohlgemerkt
handwarmen öl, in stimmung bringen. die seitenlinie streicheln,
aber kaum berühren, an den ohrläppchen knabbern, die
topografie des körpers mit dem mund erfassen, das manna kosten,
sich umfassen lassen und einen kleinen tod sterben. ein anderer
meinte, man müsse ihr nur lange genug mit dem knüppel auf den
bauch schlagen - bis sie lacht. die erinnerung an ihr gemeinsames
abenteuer verblasste.
der wind drehte und der geruch änderte sich. der duft von wald
und wiese hatte den chlorgeruch verdrängt und wurde jetzt
seinerseits durch einen säuerlich-durchdringenden pesthauch
abgelöst, der seinen ursprung in einer mülltonne hatte, die in einer
kleinen ausbuchtung der angrenzenden straße vor maden
überquoll. er hatte das ende des parks erreicht und gliederte sich
vorbildlich in den verkehr ein.
das letzte mal trug sie rot, war aber auch schon blond und
brünett gewesen, schwarz fehlte noch in der sammlung. er hatte
sie in einer singlebar im norden getroffen, von einer nische aus
beobachtet, wie sie mit einem erfolgreich aussehenden jungmann
aufkreuzte. sie nahmen mehrere bier und schienen eine
beträchtliche anzahl von leuten zu kennen. er nippte an seinem
bier und sah sein sich im fenster spiegelndes konterfei. sie würden
nicht zusammenfinden, nicht in dieser welt, nicht in dieser zeit. er
wußte nicht, ob das männlein ihr gespiele war, ein helfer oder ihr
nächstes opfer. es war ihm eigentlich auch scheißegal. sie nutzte
ihren cajalstift recht excessiv und das gefiel ihm nicht schlecht. als
meisterin der verwandlung sah sie natürlich immer anders aus,
durchschritt metamorphosen, wie andere die kleidung wechseln,
aber der cajal blieb. ihr markenzeichen. das übliche gefühl
durchflutete ihn, nahm seinen anfang in den zehen und setzte sich
fort, explodierte im magen und vereiste das herz, zerlöcherte das
hirn, erreichte seine größte ausdehnung, um sich im
nächstmöglichen augenblick in einer singularität im körper zu
zentrieren, nur noch schmerz hinterlassend. so ging es ihm immer,
wenn er dieses idealbild einer frau sah. manche würden das wohl
als liebe bezeichnen, eine liebe auf den ersten blick, so oft er sie
sah. er würde niemals mit ihrem bild vor augen masturbieren
können.
die geräuschkulisse nahm zu. den bahnhof im blickfeld spielte er
mit dem gedanken sich eine zeitung zu besorgen. er ließ den
kleinen runden fuffi durch seine finger gleiten, der verkäufer würde
ihm eine lokalzeitung dafür verkaufen und den groschen selber
drauflegen. er würde sagen, daß er die stellenangebote studieren
will. andererseits konnte es nicht schlecht sein, daß ihn einer der
üblichen bahnhofskunden erkannte und ihm ein gespräch
aufdrängeln wollte. ihn am ende noch mit anekdötchen vom
bullenspitzel vollseierte. bei langen wartezeiten hat sich wiederum
lektüre bewährt - ein hinreichender grund um fährnisse auf sich zu
nehmen. aber er hätte es eh wissen müssen, die penner kommen
erst in zwei, drei stunden, wenn sie wie er die sozikohle abgefasst
haben. es stand zwar ein kleines grüppchen in der nähe des
bahnhofskiosks, doch er kannte niemanden von ihnen und
offensichtlich kannte niemand ihn. die bewölkten augen striffen ihn
ohne interesse, um so intensiver glitten sie auf den tisch zu den
zahlreich versammelten alkoholika. vielleicht hatte jemand
geburtstag.
die nummer im kiosk klappte wunderbar. der verkäufer rückte
nicht nur das lokale schmierenblättchen raus, sondern auch eine
überregionale dreckschleuder, die er "schon ausgelesen" hatte,
dazu kostenlose anzeigenblätter, die niemand in die gegend
austrug, in der er wohnte. viel zu lesen und wäre er auf der walz,
material für ein, zwei nachtlager. allemal genug für eine
transformation, aber die würde heute abend im trauten bett
stattfinden. er fand das klang ganz schön technisch, oder eher
spirituell, tripper reden oft von transformationen - er kannte einige
aus der studienzeit -; bei natürlichen hilfsmitteln verwendete er
lieber den begriff der metamorphose, er war näher an einer
handfesten realen welt. die zeit war noch nicht reif, er war rike und
auf dem weg barmittel zu acquirieren, sozikohle abzufassen. er
bog um die ecke, und sah die hosen, in denen keine ärsche mehr
wohnten, die herben gesichter gequälter menschen, der
gesellschaft auswurf, in eine schlange getrieben. der schlüssel
drehte sich im schloß, die tür schwang auf, die fanfare für alle
bittsteller: die audienz möge beginnen.

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