Montag, 14. Juli 2008

Lucy

Kurzgeschichte (8 kurze Abschnitte) aus dem April 1996 - Jugendsünde quasi

Donnerstag, 3. Juli 2008

Lucy VIII

8 der arbeitslärm der naheliegenden baustelle weckte ihn. er
hatte das fenster diese nacht offen gelassen. er hatte keine feinde
mehr, er konnte es sich leisten. er mußte mal pissen, das hatte ihn
hart gemacht. er erledigte es, ging aufs klo spülte das
hochgefährliche zeug mit einem dicken strahl dunkelgelber pisse
runter. an die nummer von letzter nacht verschwendete er nicht
den minimalsten gedanken, dazu war der tag zu vielversprechend
und den wollte er sich auf gar keinen fall trüben lassen. er hatte
soviel selbstbewußtsein, daß er überlegte, ob er zu einem der
badeseen wandern sollte, oder radeln, wenn er ein fahrrad klauen
konnte. rike verwarf all diese gedanken und entschied sich für
einen parkspaziergang. man könnte bei erika ein paar bier holen
und sich auf eine wiese knallen. den zeitungshändler nach
magazinen der vergangenen woche anhauen oder gar ein
aktuelles kaufen, kohle war ja da. die nächsten zwei, drei tage.
eine fuffzehn später verließ er das haus. blieb kurz im eingang
stehen, um den heranziehenden tag die gebührende ehre zu
erweisen, schloß die augen, sog die luft durch die nasenflügel ein,
was ihm auf garantie einen heuschnupfenanfall einbringen würde,
und wollte sich gerade richtung park wenden, als er eine
wohlvertraute stimme vernahm:
"na reik, alles im grünen heute?", unverkennbar müllers baß.
rike zog eine kippe aus der schachtel, ließ sich vom
reißer feuer geben und sagte: "klar."

Lucy VII

7 die hitze war erträglich. der duft des wassers stieg in den
abendstunden bis hier hoch - direkt vor seine haustüre. obwohl es
erst halb elf war, lagen die straßen im sterben - komplett entvölkert.
um so besser. müller würde heute abend seine biers kippen, auf
dem heimweg den mond verschwinden sehen. - warum sollte er
ihn wiederkommen sehen? transryke fand er hätte das recht
verwirkt auf eine komplette finsternis und beschloß ihn kurzerhand
während derselben zu töten. damit wußte er zeitpunkt aber nicht
mehr den ort. heissenbergsche unschärferelation. je genauer man
die zeit eines objekts kennt, desto schlechter läßt sich der ort des
objekts bestimmen und umgekehrt. oder so ähnlich war die sache
gewesen - anstatt der zeit wahrscheinlich mit geschwindigkeiten. er
war kein physiker.
der park war wie zu erwarten ruhig und friedlich. die
geräuschkulisse bestand aus dem zirpen der grillen und
babygreinen durchgedrehter katzen. er blieb die ruhe selbst - es
konnte nichts schiefgehen - er war auf hochspannung transformiert
worden. schnell hatte er den ersten punkt der abendlichen
exkursion erreicht, den platz im gebüsch gegenüber ihrer
stammkneipe. niemand hatte ihn gesehen, auch in der kneipe
schien nicht viel betrieb zu sein, jedenfalls war nicht viel zu sehen.
vielleicht hat sich ja der rest gelangweilt ohne olle ryke? oder
roland hat heute seinen schlechten tag erwischt - aber das hatte
er sowieso. egal, eine stunde bis zum entzug des lebens-
berechtigungsscheines des roland m. - zum glück hatte er
zigaretten mitgebracht, ein idealer partner in zeiten der lange-
weile. ein blick in den nachthimmel - der mond war schon auf-
gegangen und hatte einen satten hellgelben ton, der ein fahles
licht auf die erde fallen ließ. wenn er später durch den erdschatten
wandert, wird er nicht ganz erlöschen, sich eher verfärben. zuviel
licht im raum. er schaute auf die uhr und die stunde war fast rum.
das mit der tatwaffe hatte sich auch erledigt: ihm zu füßen lag ein
schweres montiereisen, wahrscheinlich von einem vor wut schäu-
menden kfz-halter hier rein gefeuert. ihm sollte es recht sein. er ließ
den eingang der kneipe nicht mehr aus den augen.
zehn minuten vor der finsternis verließ sein opfer die kneipe -
torkelnd. hervorragend. besser konnte es bald nicht mehr laufen. er
nahm die bereitliegende brechstange auf. müller würde es in den
zehn minuten nicht schaffen aus der nähe des parks weg-
zukommen. er bräuchte bloß auf dem hauptweg im schutz der
bäume neben ihm her zu laufen und während der eclipse zu zu
schlagen. der sand des weges knirschte leicht unter seinen füßen,
während müller einen shanty anstimmte, eine seiner glanz-
nummern. transryke bewegte sich auf den rand des parks zu, den
sicheren weg verlassend, ohne chance auf ein zurück, sollte ihn
jetzt ein richtiger bulle abfassen. aber es war ja niemand da, vom
bullenspitzel mal abgesehen und der bald auch nicht mehr.
ohne ersichtlichen grund blieb müller plötzlich stehen und
schaute in das undurchdringliche buschwerk, das den park
begrenzte. transryke hatte rechtzeitig deckung gesucht, war aber
trotzdem mehr als beunruhigt. derweil versuchte der andere was zu
erkennen, konnte es aber nicht, besann sich dann auf sein
machismo und krähte den nächsten shanty - schlimmer als alle
anderen zuvor. dieser mann mußte einfach sterben. er machte im
schutz der hecken mehrere große schritte, befand sich an-
schließend gute zehn, zwanzig meter vor müller und stellte sich
hinter einen baum. er würde den gesangskünstler einfach vorbei-
torkeln lassen, derweil immer schön im schatten des baumes
bleiben, um dann mit zwei schritten hinter ihm zu sein und mit dem
überdimensionierten dosenöffner seinen schädel zu knacken. da
war er ja schon.
der mond färbte sich rot - die eclipse. es ging sehr schnell. drei
schläge - drei treffer - ein toter. er war tot bevor er auf den boden
aufschlug - ein stück stammhirn streifte sein gesicht. er durchwühlte
kurz die taschen des toten, nahm sein geld und die ringe -
raubmord. was soll's. besser als gar kein niederer beweggrund.
anscheinend war er doch kein bulle. wen interessiert's? er hatte ihn
besiegt, unfair zwar, aber besiegt. er verläßt den platz als sieger
und das ist doch das, was wir alle wollen.

Lucy VI

6 wieder zu hause. alles beim alten. raus aus den klamotten und
ab unter die dusche. selbstgebaut mit schlauch an den
wasserhahn, brause an den schlauch. zu benutzen über der
ovalen grünen plasteschüssel. altbaukomfort. er spülte den sud
vom körper - er brauchte ihn sauber. das mit der metamorphose ist
wie koks rauchbar machen. ist der schnee nicht sauber, wird
ebenso jede verunreinigung potenziert und das kleine crack-
gebirge wird für viele abstürze sorgen.
einige erledigten ihre transformationen in telefonzellen, er
brauchte dazu sein bett. vorher müßte er bloß alles bereitlegen,
was er noch brauchen würde: die anthrazitfarbenen schuhe mit
der weichen sohle, eine dunkle strapazierfähige jeans, ein
dunkelgrauer pullover, etwas werkzeug für das hauslicht und
kippen für die wartezeit. die tatwaffe würde er sich unterwegs
besorgen. er stellte noch fix den wecker auf zehn. das sollte
reichen, hatte doch der müller verkündet, er wolle auf dem
heimweg die mondfinsternis geniessen - und damit mal wieder
nebenbei den vogel abgeschossen -; die würde gegen halb eins in
der nacht stattfinden. den wecker hatte er gestellt für den fall, daß
er während der prozedur einschlief.
jetzt mußte er sich auf die metamorphose, die transformation
vorbereiten. er legte sich lang aus aufs bett und begann seine
atmung zu kontrollieren. ließ sich bewußt werden, wann er atmete,
bestimmte die pausenlänge zwischen den zügen. schloß die lider.
von der straße drangen vereinzelte abendtypische laute, kein lärm,
kein geschrei, niemand grillte und die kids trieben sich jetzt im
heißen sommer lieber an den badeseen rum. ideale bedingungen.
der wecker schrie, vielmehr das was im radio zu hören war. er
hatte die metamorphose verschlafen. nicht so schlimm, denn er
spürte, daß sie stattgefunden hatte. er fühlte sich voller energie,
beobachtete die geschmeidigen bewegungen zu denen er fähig
war, bewunderte die schnelligkeit seines intellekts. roland müller
wird der brüller. das war zumindest mal klar jetzt. der würde ihm
nicht noch mal ans bein pissen. fakt. er verließ zum dritten mal an
diesem tag das haus.

Lucy V

5 roland arbeitete irgendwo bei der stadtverwaltung als
hausmeister - jedenfalls sagte er das - besser protzte damit 'rum.
aber ryke wußte es besser, roland war ein spitzel. der bauer
streichelt sein rind, weil er weiß wie die sind. er würde verdammt
vorsichtig sein müssen. am ende war müller gar noch richtiger
bulle. ryke postierte sich in der nähe seiner stammkneipe im park,
nachdem er zwei runden auf dem hauptweg gejoggt war.
entsprechend sah er aus: tiefe rote flecken brannten zwischen
augen und wangen. der schweiß lief in strömen. die atmung ging
heftig und stoßweise. die optik änderte sich alle paar sekunden,
mal wurde der blick klarer, mal schienen sich seine augen zu
trüben. die verkleidung war nicht so schlecht gewesen, er wollte
bloß noch intensivere schweißflecke in die achseln zaubern. jetzt
war sie wertlos - die verkleidung. er stöhnte und ächzte wie eine
kleinspurbahn. auch schien ihm das gleis auf einmal sehr breit zu
sein. er kriegte angst rauszufliegen. zwischen polen und der ukraine
stimmen die spurbreiten der eisenbahn auch nicht. dort müssen die
züge von einem gleis auf das andere umgehoben werden. aber
irgendwie trug das alles nicht zur verbesserung seiner lage bei.
da war er. ging in die gemeinsame stammkneipe und würde
vorraussichtlich eine halbe stunde oder zwei kleine biers lang
bleiben. dann würde er in seine wohnung verschwinden -
zumindest sagte er das immer -, um gegen neun erneut in der
kneipe aufzutauchen und dann die richtige show abzuziehen.
heutiges ziel war die ausspähung seines unterschlupfes, seiner
behausung, seines hauptquartiers. noch eine, höchstens zwei
kippen und er würde rauskommen und ryke würde ihm folgen.
rolands appartement lag in einem älterem mietshaus drei
straßen von der kneipe weg. das haus hatte einen kleinen
vorgarten, in dem massenweise beschissene gartenzwerge
rumstanden - sie waren voll vogelscheiße. ein großes tor führte auf
einen großen hof, der durch mauern und ein hinterhaus begrenzt
war. mehr konnte ryke auf distanz nicht erkennen. und näher
rangehen würde er erst, wenn er sicher sein konnte, daß er dem
bullen nicht über den weg lief. fünfzig meter die straße runter war
eine kleine konditorei mit angeschlossenen cafébetrieb. eine
günstige gelegenheit müllers mühle zu beobachten und gleich-
zeitig ein wenig zu entspannen.
der kaffee französisch kam und roland verließ das haus. ein
weiterer grund ihn umzulegen: ein café francaise für knapp fünf
mark und er konnte ihn nicht geniessen. hastig schüttete er die
braune brühe in sich rein und bezahlte an der verkaufstheke. müller
sah aus als wollte er einkaufen gehen. wer weiß? auf alle fälle
hatte er nicht viel zeit und viel zu tun. er checkte den hof und das
hinterhaus. der hof war doch nicht so groß, wie es zuerst den
anschein hatte. er reichte zumindest nicht aus, um sich sicher zu
verstecken und schnell und leise zu agieren. die tür zum hinterhaus
war abgeschlossen, auf einem der klingelschilder sein name. ryke
drückte den klingelknopf - vielleicht war er ja nicht allein, obwohl er
immer erzählte er wäre ein einzelgänger - ein steppenwolf.
niemand öffnete, vielleicht war er ja wirklich einer, oder hatte nur
zu viel oder zu wenig hesse gelesen. kam darauf an, wie man es
sah. er würde ihn jedenfalls totmachen wie einen tollen hund,
selbst wenn er vom wolf abstammten sollte.
er kam langsam unter zeitdruck. mußte sich beeilen. sonst
erwischte ihn rm gleich hier und würde seine vorteile ausspielen. er
würde sagen können, daß er ihn einfach mal besuchen wollte,
aber sie wüßten beide daß das gelogen wäre. also, auf, auf und
davon - 'nen kreis ziehen, sich vom acker machen. als er den
durchgang zum tor beschritt, fiel ihm der versenkte hauseingang
vom vorderhaus auf. nachts ein ideales versteck, wenn man vorher
das hauslicht ausschaltete. endgültig. eine lampe befand sich am
eingang. einfach ranzukommen. er würde heute abend
versuchen, unauffällig die lampe und damit das hauslicht kurz zu
schließen. und dann gnade dir gott, roland.

Lucy IV

4 der heimweg war wie die bratwurst, öde. er legte sich etwas
hin, nahm erst die zeitungen, dann ein buch zur hand, konnte aber
die zum lesen notwendige konzentration nicht aufbringen und lies
seine gedanken treiben. er beobachtete die auslegware auf dem
fußboden und schob ein paar imaginäre einheiten entlang der
demarkationslinien hin und her. lange konnte er sich nicht
entscheiden, wem die gunst gehören solle. entschied sich dann
alle beiden kampfparteien durch einen massiven luftangriff aus der
welt zu schaffen. die verluste waren schrecklich.
der mund fühlte sich etwas pelzig an und ein blick auf den
radiowecker bestätigte den schlafverdacht. nun regeneration
kann ihm bei seinem heutigen einsatz nur von vorteil sein. aber
noch wichtiger ist die information. deshalb mußte er auf die pirsch,
sein wild aufstöbern und nach seinen schwachstellen forschen.
dafür benötigte man eine absolut unauffällige bekleidung. er hatte
vor als jogger durchzugehen und legte sich die klamotten zurecht:
einen grauen jogginganzug und schwarzes laufwerk. ein kanten
brot macht wangen rot. es konnte losgehen.
auf dem weg nach unten rekapitulierte er was ihm vom
bullenspitzel bekannt war. aufgetaucht ist er vor circa einen monat
in seinem stammlokal. er soff wie ein schwein, hatte seine zunge
aber immer unter kontrolle. einssiebenundachtzig. siebenund-
neunzig kilo. braune haare mit grauen strähnen, trotzdem nicht
älter als dreißig. muttermal in der rechten armbeuge. (wär er fixer
und wär es der linke arm, wär's ein schönes fadenkreuz.) leidlich
intelligent. sprachgewandt. beinahe charismatisch. hatte es damit
geschafft, in den mittelpunkt zu gelangen. besser informationen
abzufassen. im bürgerlichen leben hieß er müller, vorname roland.
zum rasen hatte er ihn gebracht - bis jetzt. er öffnete die haustür so
schwungvoll, daß sie gegen das mauerwerk knallte und den
wellensittich von frau meier von der schaukel zwang. hätte er's
gewußt, er hätt's für 'n gutes omen gehalten.

Lucy III

3 sachbearbeiterin für die anfangsbuchstaben a-e zweite
etage, rechts, zimmer 212, wartezone links daneben. rauchen
verboten. billiges parfüm und der schweiß der toten männer - eine
frustrierende mischung. bis heute abend würden sich alle, oder
zumindest der großteil, der arme-leute-droge alkohol hingegeben
haben. das konnte man aus den grobporigen gesichtern mit dem
einen oder anderem blutgefäßdelta und dem steinbruch im mund
ablesen. er holte seine stütze in einem anderen stadtbezirk ab -
keiner brauchte wissen, auf welche art und weise er sein geld
verdiente - und erwartete niemand bekannten zu sehen. vier leute
vor ihm, tausende dahinter - er würde eine runde halbe, vielleicht
auch eine ganze stunde warten müssen und begann sein
zeitungsstudium: krieg, flugzeugabsturz, geiselnahme, terrorismus,
titten auf seite 3, volkszorn auf der 5, mord, raubmord, justizmord,
tausend niedere beweggründe, serie über berühmte serienmörder,
neueste liebesspielzeuge aus dem orient, mode für verrückte in
london, ausschreibungen für irgendwelche neubauten der
städtischen verwaltung, billige werbung, tinnef, tand, talmi -
schund. netter zeitvertreib.
"Nun Herr Behrendt, wir sind wohl nicht sehr erfolgreich bei der
Arbeitssuche, oder?", rastete die verquere torte aus. "Wie Sie
vielleicht wissen, können wir sie auch zu der einen oder anderen
Arbeit heranziehen. Wenn Sie weiterhin so unkooperativ sind, werde
ich etwas in der Art vorschlagen müssen!" er quälte sich ein paar
entschuldigungsworte raus und veränderte die reihenfolge seiner
schwarzen liste geringfügig. sie gab ihm den scheck und er ging ihn
an der kasse einlösen. im vorraum hatte derweil jemand versucht
zu drängeln und kurzfristig ein auge zugeschweißt bekommen, im
zonenknast hätte man das vielleicht selbsterziehung genannt, hier
nennt man das wohlfahrtsstaat. anderthalb stunden komprimierte
scheiße - in der einen oder anderen form - schlauchen. er würde
was essen gehen, daß heißt er würde sich irgendwas reinpfeifen,
sobald ein entsprechendes angebot des weges kam. die arbeit
war getan und man konnte zur siesta schreiten. die sonne hatte
den zenit ihrer bahn noch nicht erreicht, aber wenn sie es tat,
würde es auf der straße nicht mehr auszuhalten sein.

Lucy II

2 summertime and the living is easy. das amt macht in 15
minuten auf, er würde in zehn dort sein. der duft von chloriertem
wasser stieg ihm in die nase. der park erstreckte sich zu seiner
linken, das schwimmbad bildete den vortex im tosenden
dschungelgrün - das sturmauge, die ruhe im mittelpunkt der grünen
oase, in der urbanen wüste - nachts. tagsüber war er von
vielfältigen geräuschen erfüllt: kreischenden kindern, keifenden
frauen und sabbelnden männern - beschäftigt mit den kleinen
annehmlichkeiten des lebens: erörterungen des haushaltplanes,
ausrauben von klassenkameraden, seiern über wochenendficks.
dazu die natürliche geräuschkulisse aus vogelzwitschern,
hundegebell, straßenbahnquitschen und dem knall des die
schallmauer durchbrechenden jägers. an den ulmen stand ein
päärchen, händchenhaltend im schatten - ihm fröstelte. sie sah ihr
ähnlich, war es aber nicht, wie auch, war sie doch vom selben
schlag. vom selben schlag wie er. wie oft hatte er sie gesehen. sie
verstand es sich zu tarnen, beherrschte die technik des mimikry,
konnte sich jeder umgebung anpassen, wie ein chamäleon, und
darunter zählte nicht nur der willkürliche wechsel der haarfarbe. oft
hatte er sie gesehen, ihren gang bewundert, leicht und gefährlich,
die katze auf der jagd nach der beute. ein kumpel, der es mit
frauen eher sporadisch zu tun bekam, hatte ihm mal erzählt, was er
mit frauen anstellen würde. hat gemeint man müsse sie zu sich
nach hause locken, mit kulinarischen künsten verführen,
atmosphäre schaffen, die sinne berauschen, akustisch, visuell, aus
büchern vorlesen, sie durch massage, mit wohlgemerkt
handwarmen öl, in stimmung bringen. die seitenlinie streicheln,
aber kaum berühren, an den ohrläppchen knabbern, die
topografie des körpers mit dem mund erfassen, das manna kosten,
sich umfassen lassen und einen kleinen tod sterben. ein anderer
meinte, man müsse ihr nur lange genug mit dem knüppel auf den
bauch schlagen - bis sie lacht. die erinnerung an ihr gemeinsames
abenteuer verblasste.
der wind drehte und der geruch änderte sich. der duft von wald
und wiese hatte den chlorgeruch verdrängt und wurde jetzt
seinerseits durch einen säuerlich-durchdringenden pesthauch
abgelöst, der seinen ursprung in einer mülltonne hatte, die in einer
kleinen ausbuchtung der angrenzenden straße vor maden
überquoll. er hatte das ende des parks erreicht und gliederte sich
vorbildlich in den verkehr ein.
das letzte mal trug sie rot, war aber auch schon blond und
brünett gewesen, schwarz fehlte noch in der sammlung. er hatte
sie in einer singlebar im norden getroffen, von einer nische aus
beobachtet, wie sie mit einem erfolgreich aussehenden jungmann
aufkreuzte. sie nahmen mehrere bier und schienen eine
beträchtliche anzahl von leuten zu kennen. er nippte an seinem
bier und sah sein sich im fenster spiegelndes konterfei. sie würden
nicht zusammenfinden, nicht in dieser welt, nicht in dieser zeit. er
wußte nicht, ob das männlein ihr gespiele war, ein helfer oder ihr
nächstes opfer. es war ihm eigentlich auch scheißegal. sie nutzte
ihren cajalstift recht excessiv und das gefiel ihm nicht schlecht. als
meisterin der verwandlung sah sie natürlich immer anders aus,
durchschritt metamorphosen, wie andere die kleidung wechseln,
aber der cajal blieb. ihr markenzeichen. das übliche gefühl
durchflutete ihn, nahm seinen anfang in den zehen und setzte sich
fort, explodierte im magen und vereiste das herz, zerlöcherte das
hirn, erreichte seine größte ausdehnung, um sich im
nächstmöglichen augenblick in einer singularität im körper zu
zentrieren, nur noch schmerz hinterlassend. so ging es ihm immer,
wenn er dieses idealbild einer frau sah. manche würden das wohl
als liebe bezeichnen, eine liebe auf den ersten blick, so oft er sie
sah. er würde niemals mit ihrem bild vor augen masturbieren
können.
die geräuschkulisse nahm zu. den bahnhof im blickfeld spielte er
mit dem gedanken sich eine zeitung zu besorgen. er ließ den
kleinen runden fuffi durch seine finger gleiten, der verkäufer würde
ihm eine lokalzeitung dafür verkaufen und den groschen selber
drauflegen. er würde sagen, daß er die stellenangebote studieren
will. andererseits konnte es nicht schlecht sein, daß ihn einer der
üblichen bahnhofskunden erkannte und ihm ein gespräch
aufdrängeln wollte. ihn am ende noch mit anekdötchen vom
bullenspitzel vollseierte. bei langen wartezeiten hat sich wiederum
lektüre bewährt - ein hinreichender grund um fährnisse auf sich zu
nehmen. aber er hätte es eh wissen müssen, die penner kommen
erst in zwei, drei stunden, wenn sie wie er die sozikohle abgefasst
haben. es stand zwar ein kleines grüppchen in der nähe des
bahnhofskiosks, doch er kannte niemanden von ihnen und
offensichtlich kannte niemand ihn. die bewölkten augen striffen ihn
ohne interesse, um so intensiver glitten sie auf den tisch zu den
zahlreich versammelten alkoholika. vielleicht hatte jemand
geburtstag.
die nummer im kiosk klappte wunderbar. der verkäufer rückte
nicht nur das lokale schmierenblättchen raus, sondern auch eine
überregionale dreckschleuder, die er "schon ausgelesen" hatte,
dazu kostenlose anzeigenblätter, die niemand in die gegend
austrug, in der er wohnte. viel zu lesen und wäre er auf der walz,
material für ein, zwei nachtlager. allemal genug für eine
transformation, aber die würde heute abend im trauten bett
stattfinden. er fand das klang ganz schön technisch, oder eher
spirituell, tripper reden oft von transformationen - er kannte einige
aus der studienzeit -; bei natürlichen hilfsmitteln verwendete er
lieber den begriff der metamorphose, er war näher an einer
handfesten realen welt. die zeit war noch nicht reif, er war rike und
auf dem weg barmittel zu acquirieren, sozikohle abzufassen. er
bog um die ecke, und sah die hosen, in denen keine ärsche mehr
wohnten, die herben gesichter gequälter menschen, der
gesellschaft auswurf, in eine schlange getrieben. der schlüssel
drehte sich im schloß, die tür schwang auf, die fanfare für alle
bittsteller: die audienz möge beginnen.

Lucy I

1 heute war ein großer tag. straff strukturiert - ein programm-
ablaufplan der kaum zeit zum grübeln ließ. gut so. vormittags ein
paar barmittel acquirieren, nachmittags die pirsch und heute
nacht, wenn der mond durch den erdschatten wandern wird, des
tages abschuß. das dumme spitzelschwein hatte definitiv zu lange und zu
intensiv geschnüffelt; er hatte nichts gegen ihn, er hätte ja nicht
auftauchen brauchen. rike würde aufpassen müssen - vorsichtig
sein - die metamorphose richtig durchziehen - und er
würde als gewinner vom platz gehen. dieser gedanke sagte ihm
außerordentlich zu.
der radiowecker vermischte das atmosphärische pfeifen und
rauschen des unscharf eingestellten senders - ein geist der sich
weder für das diesseits, noch für das jenseits entscheiden kann - mit
dem schrillen weckton. er würde noch zeit haben, die weckzeit war
so eingestellt, daß er noch liegen konnte. er nahm den schlauch in
die rechte hand und fing an zu spielen, er dachte an den seiltrick
der indischen fakire und lächelte als er spürte, wie sich sein seil
verhärtete. Er stand auf und öffnete das fenster, sein gerät
beschrieb pendelnde auslenkungen aus der horizontale - es
erinnerte an einen prall gefüllten c4-schlauch der freiwilligen
feuerwehr. ob man wohl jemanden an einen durch wasserdruck
aufgerichteten, hinreichend langen schlauch in die wolken
schicken kann, wie die fakire? aber die haben das wohl über
massensuggestion geregelt. mit dem trockenfick wird das wohl nix
werden, er konnte seine gedanken nicht fokussieren. zeit dem
wecker das maul zu stopfen.
aufwärmphase. kaffee. kippe. kot. er ging sich rasieren. später
würde er kassieren. reime am morgen - kummer und sorgen. er
versuchte ein verdrießliches gesicht zu machen - und scheiterte.
das harte gelang ihm auf anhieb. die nächste halbe stunde dient der spiegel als
projektionsflõche der komplexen maschine mensch. der knacki,
der skipper, der lacki, der ripper. dreh das rad - mach dein spiel -
mit ein bischen glück - erreicht du's ziel. sein ziel war der ex-knacki.
zeit die kohle vom soziamt zu holen. vom bad durch den flur an der
küche vorbei ins wohn- und schlafzimmer waren es zwei schritte.
weitere zwei bis zum fenster. der ausblick war phantastisch: ein in
diesiges morgenlicht getauchter hinterhof mit ästhetisch plazierten
mülltonnen. irgendjemand hatte was mit frei sein und vögeln an
die wand gepinselt - in seiner stammkneipe würde er damit eine
pointe landen k÷nnen. vorrausgesetzt der blöde bullenspitzel
klaute ihm nicht die show. aber das würde sich heute ja eh klären.
er mußte ihn abschütteln, ihn loswerden, ihn terminieren. er hätte in
dieser stadt vorsichtiger sein sollen. was soll's. er würde es
durchziehen, eine weile die füße ruhig halten und sich dann
vielleicht auf eine bohrinsel verpissen oder nach kanada gehen.
man müßte sich irgendwie falsche pässe besorgen können. mit
den id-karten, die er selber fabrizierte, konnte man nur besoffene
penner aufs kreuz legen - er wußte das. aus eigener erfahrung.
das fenster verklemmte sich beim schließen. er schlug mit der
flachen hand gegen den rahmen unterhalb des fenstergriffes,
legte sein körpergewicht hinein und mit einem rasten war die
sache im kasten. eine leichte variation dieses schlages und man
konnte jemandem den kehlkopf brechen. die art des ganges
bestimmt die kleiderordnung: schwarze billigsporttreter, ins
gräuliche verwaschene jeans und ein graues joggingoberteil - eine
jacke würde bei der warmen witterung nur auffallen, die taschen
der jeans würden ausreichen. zeit den zwanzig quadratmeterknast
gegen das gefühl der freiheit zu tauschen, die daherkommt, wie
ein potemkinsches dorf - alles nur fassade: man kann die schatten
der gitterstäbe sehen.

Dienstag, 22. April 2008

Wind

Wenn wir zwei uns finden,
die Körper zwei Vulkane sind.
ein Feuer heiss entzünden
die Leidenschaft begründen.
und tanzen, wie ein Wirbelwind.

Die Seelen frei von Grenzen,
wie zwei wilde Vögel sind
die andere stets ergänzen
im Licht der andren glänzen
und gleiten auf dem Nordenwind.

Die Herzen uns erwarten,
wie zwei Schmetterlinge sind.
taumeln durch den Garten
voll Sehnsuchtsblüten, zarten.
und segeln sanft im Sonnenwind.

So ist es mein Empfinden,
mein Körper, Herz und Seele liebt,
kann es nicht begründen,
geb mich hin den Winden,
Glückestrunken, dass es dich gibt.